Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir führen die Debatte heute mit großer Leidenschaft. Wir führen diese Debatte mit Leidenschaft nicht nur in diesem Haus, sondern in unserer Gesellschaft, und das ist gut und richtig so. Und noch etwas: In den Mittelpunkt dieser Debatte gehören selbstverständlich das Leid und die Not derjenigen Menschen, die dringend auf ein lebensrettendes Spenderorgan angewiesen sind. Viele von uns haben auch in den letzten Wochen mit den Menschen, um die es hier geht, und ihren Angehörigen gesprochen. Deswegen darf uns das alles nicht ruhen lassen, hier besser zu werden.
Ich verhehle nicht: Ich habe Respekt vor denen, die sagen: Müssen wir nicht angesichts dieser Situation auch über einen grundsätzlichen Wechsel rechtlicher Rahmenbedingungen nachdenken? - Ich halte dem aber entgegen: Gerade bei schweren Entscheidungen müssen sich unsere ethischen Grundprinzipien als Leitplanken bewähren, meine Damen, meine Herren.
Ich halte es für unangemessen, wenn in der öffentlichen Debatte - nicht so sehr in diesem Haus, aber in der öffentlichen Debatte - gelegentlich der Eindruck erweckt wird, als seien diejenigen, die nicht für die Widerspruchsregelung sind, gleichsam der Meinung, es könne so bleiben wie bisher und es interessiere sie nicht das Leid derer, die auf ein Organ warten. Das ist mitnichten der Fall.
Ich nehme für uns alle in Anspruch, hier helfen zu wollen.
Aber meine Damen und Herren, wer einen Systemwechsel, geradezu einen Paradigmenwechsel - heute hier geschehen - einfordert, der sollte gleichzeitig nicht kleinreden, um was es hier geht. Hier geht es nicht darum, zu sagen: Man wird doch wohl sagen können „Entscheidet euch!“. - Es geht um die Frage, ob der Staat das Selbstbestimmungsrecht des Menschen unter eine Bedingung stellt.
Ich wünsche mir, dass sich jeder Mensch mit der Organspende befasst und eine Entscheidung trifft.
Aber am Ende geht es um die Frage, ob der, der aus welchen Gründen auch immer diese Entscheidung nicht trifft, sein Selbstbestimmungsrecht verliert oder nicht verliert.
Diese Frage beantworte ich klar: Jeder Mensch hat ein Selbstbestimmungsrecht. Dies ist der Anker unserer medizinethischen Grundüberzeugung; dies ist der Anker unserer Patientenrechte.
Auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit muss ich nicht durch eine Widerspruchserklärung aktivieren; ich habe es bedingungslos, und nur meine eigene Einwilligung kann es zurücktreten lassen.
Das ist keine kleine Frage. Es geht um den Kern des Menschenbilds unserer freiheitlichen Rechtsordnung, um nicht mehr und nicht weniger. Deswegen tue ich mich schwer mit denen, die sagen, man muss da abwägen.
Aber selbst wenn ich mich auf den Gedanken des Abwägens einlasse, muss ich sagen: Die Widerspruchslösung ist ein untaugliches Mittel, und man wird von einem tiefgreifenden Eingriff doch wohl Tauglichkeit erwarten können. Die Lage im Ausland ist nicht so, wie immer leichthin dargestellt, als gäbe es einen klaren Zusammenhang. Die Schweizer schaffen mit einer Zustimmungsregelung sehr viel mehr Organspenden. Darum geht es nicht, die Beweislage ist da anders. In Spanien sind die Verbesserungen nicht durch die Rechtsregelung, sondern durch Veränderungen in der Krankenhausstruktur erreicht worden; darauf ist schon hingewiesen worden.
Aber ich will auch ausdrücklich zur Lage im eigenen Land etwas sagen. Nach den Skandalen 2012 hat sich die Zahl der Organspendeausweise von 22 Prozent auf fast 40 Prozent massiv erhöht. Wir sollten diese gemeinsamen Kraftanstrengungen auch nicht kleinreden.
Wenn bei 1 400 Fällen, in denen der Hirntod festgestellt und eine grundsätzliche Organspendemöglichkeit festgestellt wurde, in 75 Prozent der Fälle durch Organspendeausweis oder durch Angehörigenauskunft eine Zustimmung vorliegt, dann zeigt dies: Wir haben eine Kultur der Solidarität in diesem Land!
Sie muss nicht durch einen Paradigmenwechsel erst geschaffen werden, wir können dankbar feststellen: Es gibt sie.
Natürlich wünsche ich mir, dass wir von den 75 Prozent auf 80 Prozent auf 85 Prozent kommen. Aber das Entscheidende ist, mehr Menschen zu identifizieren. Die Zahl der 1 400 oder mehr, bei denen eine Organspende möglich wird, ändert sich überhaupt nicht durch die Widerspruchslösung.
Deswegen: Lassen Sie uns beharrlich den Weg fortsetzen, den wir gegangen sind. Ich bin davon überzeugt: Wir können Stärkung der Organspende und Selbstbestimmungsrecht verbinden. Aber Spende muss Spende bleiben; Spende verträgt sich nicht mit Automatismus.
Bitte stimmen Sie einer Stärkung der Entscheidungsbereitschaft zu.