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Jüdisches Leben in Deutschland - Neusser Stadtgespräch der Konrad-Adenauer-Stiftung

[Veranstaltungsbericht der KAS] In diesem Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. In Neuss fällt dieses Jubiläum zusammen mit der Einweihung eines neuen jüdischen Gemeindezentrums mit Synagoge. Wie hat sich jüdisches Leben verändert? Wie sieht das Gemeindeleben vor Ort aus und wie können wir als Gesellschaft mit Antisemitismus umgehen?

Darüber diskutieren Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Hannah Dannel vom Zentralrat der Juden, Bert Römgens von der jüdischen Gemeinde Neuss und der Schirmherr der Veranstaltung, Hermann Gröhe MdB. Zunächst begrüßt Simone Gerhards, die Leiterin des Regionalbüros Rheinland, die Zuschauerinnen und Zuschauer: “Wie hat sich die Situation für Jüdinnen und Juden in den letzten Jahren verändert? Wie sichtbar ist jüdisches Leben im Alltag und wie kann es noch sichtbarer werden? Und wie positionieren wir uns als Gesellschaft gegen Antisemitismus?”

„Wir stehen an der Seite jüdischen Lebens in Deutschland“

In seinem Grußwort drückt Hermann Gröhe seine Freude über die lange Tradition jüdischen Lebens in Deutschland aus. Das Jubiläumsjahr sei ein Anlass zum Feiern und zum Nachdenken, man dürfe aber nicht wegschauen, wenn antisemitische Übergriffe geschehen. Da müsse der Rechtsstaat zeigen: „Wir sind wehrhaft.“ Anschließend gibt Hannah Dannel einen Einblick in die jüngere Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland. 1945 bildeten sich erste jüdische Gemeinden von verschiedensten Menschen, die die Shoah überlebt hatten oder aus dem Exil zurückkehrten: „Deutschland war nicht wirklich ihr Zielland, aber man brauchte Gemeinden.“ 1950 bildete sich der Zentralrat der Juden als Interessensvertretung und um Jüdinnen und Juden bei der Ausreise zu unterstützen.

„Eigentlich dachte niemand an eine Zukunft“

Das Bild der gepackten Koffer steht sinnbildlich für diese Zeit: „Keiner glaubte, dass man auf verbrannter Erde etwas aufbauen könnte.“ Durch Zuwanderung wuchsen die Gemeinden, 1990 durch die „große Zuwanderung“ kamen etwa 220.000 jüdische Menschen nach Deutschland. Jüdisches Leben sei heute sehr vielfältig, sagt Dannel: „Ich spüre ein neues jüdisches Selbstverständnis und eine neue Selbstverständlichkeit.“ Die Aufgabe des Zentralrates sei heute eine ganz andere als noch 1950: Es gehe um Mitgestaltung und Begegnungen. Es sei bitter für die jüdischen Gemeinden, zu sehen, dass immer noch Antisemitismus hochkomme: „Das tut weh.“

Auf Gegenwart und Zukunft blicken

Auch Dr. Felix Klein spricht in seinem Impuls Antisemitismus an: „Wenn Juden in Deutschland verantwortlich gemacht werden für etwas, was in Israel passiert, ist das ein klares antisemitisches Muster, welches wir benennen müssen.“ Es sei gut zu sehen, dass es vielerorts eine „wache Zivilgesellschaft gebe, die Antisemitismus nicht akzeptiert.“ Außerdem müsse Antisemitismus sichtbar gemacht werden. Das geschehe nun mit einem Meldesystem für Fälle, die unter der Strafbarkeitsgrenze seien. Der Staat könne außerdem „Gesetzeslücken schließen.“ Er habe mit vielen Menschen gesprochen, und der Großteil sehne sich neben Sicherheit vor allem nach Normalität: „Deswegen muss der öffentliche Fokus viel mehr auf dem aktuellen jüdischen Leben liegen.“ Dafür müsse man anschauen, wann und wie Kinder zum ersten Mal mit dem Judentum in Berührung kommen – ein positiver Zugang sei vor allem für Kinder wichtig, pflichtet Dannel ihm bei.

„Die Synagoge ist das Zentrum im Zentrum“

Begegnungen mit verschiedenen Menschen und Schülerinnen und Schülern sind auch ein wichtiges Anliegen von Bert Römgens von der jüdischen Gemeinde Neuss. Die Gemeindemitglieder hätten in den letzten Jahren mit viel Engagement das Gemeindezentrum „mit Leben gefüllt.“ Jüdisches Leben habe sich in Neuss etabliert, die Synagoge, die bald eingeweiht wird, sei die logische Schlussfolgerung. 1938 wurde die Neusser Synagoge zerstört, jetzt gebe es „endlich wieder ein spirituelles Zentrum.“ Die Gemeinde habe einen Raum für Begegnungen eingerichtet: „Wir wollen für die Neusser Stadtgesellschaft offen sein und etwas dafür tun, dass wir kennengelernt werden.“ Für Hermann Gröhe sind Gemeinden ein wichtiges Element für das Heimatgefühl: „Das ist ein neuer Schritt, Neuss als Heimat zu erfahren und ein Schritt für mehr Sichtbarkeit.” Dem stimmt Klein zu: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Judentum als integraler Bestandteil der Gesellschaft dargestellt wird. Der Staat kann viel machen, aber es geht nicht ohne Zivilgesellschaft.“