Diese Frage diskutierte der Autor und Kabarettist Marius Jung beim digitalen Neusser Kulturtreff. Zunächst begrüßte die Leiterin des Regionalbüro Rheinlands, Simone Gerhards, das Publikum und sprach die Relevanz von Respekt im öffentlichen Diskurs an: „Um als Gesellschaft im öffentlichen Diskurs die Meinungsbildung zu ermöglichen, ist ein respektvoller Diskurs unabdingbar. Wie schaffen wir es, den Respekt als Grundstein unseres friedlichen Zusammenlebens wieder in den Fokus zu stellen?“ Im Anschluss spricht Marius Jung in einem Impulsvortrag über seine Perspektive auf Respekt: Diese sei nicht „nice to have“, es ginge darum, voller Empathie für das Gegenüber zu sein: „Es ist wichtig, jemanden als Individuum wahrzunehmen, nicht als Teil einer Gruppe.“
„Wir haben alle Vorurteile“
Für Marius Jung ist klar: Niemand ist komplett frei von Vorurteilen. Wenn wir keine hätten, müssten wir in jeder Interaktion von Null starten: „Jeder, der sagt er hat keine Vorurteile hat, ist entweder zwei Jahre alt oder lügt sich in die Tasche.“ Doch ein Vorurteil dürfe nicht zum Urteil werden. Jung werde oft eine Frage gestellt, noch bevor nach seinem Namen gefragt wird: „Woher kommst du?“ Viele würden ihm sagen, sie stellten diese Frage aus Interesse – „aber warum wird diese Frage dann nicht der Migrantin Antje aus Holland gestellt?“ Diese Frage vor jedem anderen Gespräch zeige, dass die Person denke, dass Jung nicht hierhergehöre: „Es ist schmerzhaft, wenn dir abgesprochen wird, Teil einer Gesellschaft zu sein, deren Teil ich seit meiner Geburt bin.“
„Wir sind an einem Punkt, an dem wirklich was passiert“
Jung erzählt von Erwartungshaltungen, die ihm oft entgegengebracht würden – zum Beispiel, dass er kein Deutsch sprechen könnte. Das sei respektlos und schmerzvoll. Oft entstünden Einschätzungen in der eigenen Vorstellung – „die meisten Konflikte zwischen Menschen entstehen aufgrund von Erwartungshaltungen.“ Rassismus wachse wie unterirdische Wurzeln, doch es gebe Momente, „in denen etwas wirklich Schlimmes passiert und das Wurzelwerk des Rassismus an die Oberfläche kommt.“ Die Ermordung von George Floyd habe das Thema in die Öffentlichkeit gehoben. Seitdem würde er mehr für Vorträge angefragt, es werde mehr über Sprache diskutiert – doch man dürfe sich nicht zurücklehnen. Es müsse noch viel passieren, doch er findet es wichtig für die Menschen, „die jeden Tag für Respekt kämpfen, zu sehen, dass etwas passiert ist.“
„Es geht um das, was mit dem Wort gemacht wurde“
Ein großes Thema in Jungs Vortrag und der späteren Diskussion ist die Sprache. Das N-Wort dürfe von weißen Menschen nicht benutzt werden, da es eine rassistische Fremdbezeichnung sei – man könne das nicht revidieren, indem gesagt wird: „Ich meine das nicht so.“ Auch wenn die Ursprungsbedeutung eines Wortes nicht rassistisch sei, „hat jedes Wort eine Geschichte und dadurch eine Bedeutung, die nicht mit der Ursprungsbedeutung übereinstimmen muss. Im Dialog mit Schülerinnen und Schülern habe er die Erfahrung gemacht, dass die Diskussion bei Ihnen an einem anderen Punkt sei als unter Erwachsenen: Sie seine flexibler und Worte wie das N-Wort würden von Schülerinnen und Schüler nicht mehr genutzt – es sei kein Thema mehr.
„Haltung geht vor Form“
Der Schirmherr der Veranstaltung, Hermann Gröhe MdB, spricht sich für mehr Sensibilität aus. Respekt beginne damit, sich in die Schuhe des anderen zu stellen: „Ich schulde allen Menschen die Wertschätzung, die ich selber erfahren möchte." Was die Sprache und Begriffe angehe, sei es ein wichtiger Ansatz, sich selbst damit zu beschäftigen, sagt Jung: „Wir möchten anderen mit Respekt begegnen und sie nicht verletzen und beleidigen.“ Auch bei einer gendergerechten Sprache sei das wichtig: Es gehe darum, Gruppen sichtbar zu machen. Gröhe sagt, es sei wichtig, bei diesem Thema alle mitzunehmen und zuzuhören – es dürfe kein Elitenprojekt werden. Die Intellektuellen spielten jedoch eine wichtige Rolle in dem Prozess, sagt Jung – durch sie finde der Anstoß statt: „Es darf aber nicht an der Stelle stehenbleiben.“ Man brauche natürlich Zeit: „Ich finde es wichtig, sich zu öffnen – nicht nur für neue Laute, sondern für das, was dahintersteckt.“