Herr Gröhe, Sie sind als Gesundheitsminister in das Jahr gegangen und Sie kommen als Fraktionsvize der Union mit dem Themenfeld Arbeit und Soziales heraus. Wie gut war 2018 für Sie persönlich?
Hermann Gröhe: Es war ein Jahr mit einer schmerzhaften Erfahrung, aber auch mit einem spannenden Neustart als Parlamentarier. Das bereitet mir große Freude. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist ein zentrales und in der Koalition mit der SPD nicht einfaches Politikfeld! Dazu gehört die Mitgliedschaft in der Rentenkommission. Zudem bin ich zuständig für die Entwicklungszusammenarbeit, also die Frage globaler Gerechtigkeit, und der Beauftragte unserer Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften…
... und Sie gehören dem Vermittlungsausschuss an, auf den unter dem Stichwort Digitalpakt ein Auftrag zu kommt. Die Länder verweigern die Zustimmung zur Verfassungsänderung. So können fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt Schule vom Bund nicht ausgezahlt werden. Was sagen Sie?
Gröhe: Das Vermittlungsverfahren wird Ende dieses Monats anlaufen. Ins Auge gefasst ist, dass Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und ich als Vorsitzende gewählt werden. Da kommt viel Arbeit auf uns zu!
War 2018 denn ein gutes Jahr für die Politik?
Gröhe: Nein, es war ein sehr schwieriges Jahr. International und national. Die Regierungsbildung hat so lange gedauert wie noch nie, die Jamaika-Gespräche scheiterten, die Große Koalition wird bis heute von erheblichen Teilen der SPD abgelehnt, der Streit der Unionsparteien – wir haben so viele Ärgernisse produziert, das reicht für eine Legislaturperiode.
Mit anderen Worten: Sie geloben für 2019 Besserung und wollen sich nun ans Regieren machen?
Gröhe: 2018 wurde regiert, wurden gute Gesetze beschlossen! Aber zu oft hat Streit die eigenen Erfolge völlig in den Hintergrund treten lassen.
Zum Beispiel?
Gröhe: Die wichtigste Nachricht des Jahres kam vom Arbeitsmarkt: Rekordbeschäftigung! Eine Arbeitslosigkeit von nur 4,9 Prozent im Rhein-Kreis Neuss ist ein toller Erfolg. Doch wir ruhen uns darauf nicht aus, sondern verstärken die Anstrengungen für Langzeitarbeitslose! Gerade für solche mit schweren Vermittlungshemmnissen. Da wird es eine intensivere Betreuung und deutlich verbesserte Lohnzuschüsse geben. Allein das Jobcenter im Rhein-Kreis erhält 2019 zusätzlich 5,3 Millionen Euro für solche Massnahmen. Mehr Chancen für Langzeitarbeitslose in einer Zeit des Arbeitskräftemangels – dieses Ziel eint die Koalition.
Sie streiten aber darüber, ob es Sanktionen geben soll.
Gröhe: Und wir lehnen die Abschaffung dieser Sanktionen entschieden ab! Zum Anspruch auf Unterstützung gehört auch die eigene Mitwirkung. Und nur bei drei Prozent der Unterstützungsempfänger gibt es Sanktionen bei Verstößen gegen entsprechende Pflichten. Den Zusammenhang von Fördern und Fordern aufzugeben, ist ein Fehler vieler Sozialdemokraten. Und wir müssen darauf bestehen, dass wirtschaftliche Vernunft Grundlage sozialer Verantwortung bleibt. Der Sozialstaat bleibt nur finanzierbar, wenn er die Fähigkeit zur Eigenverantwortung stärkt.
Ihr Wahlkreis im Rhein-Kreis verfügt über eine Schnittmenge mit dem Rheinischen Revier. Wie positionieren Sie sich, wenn Industriepolitik auf Klimapolitik trifft?
Gröhe: Der Klimapolitik kommt eine zentrale Bedeutung zu, wollen wir unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft sichern! Doch nur wenn der Ausstieg aus der Kohleverstromung ohne soziale und wirtschaftliche Brüche gelingt, wird er international Nachahmer finden. Und nur wenn unserer Beispiel Schule macht, kann es dem Weltklima nutzen.
SPD-Politiker mit Ex-Minister Erhard Eppler an der Spitze drücken aufs Tempo und fordern den Braunkohleausstieg bis 2030 ...
Gröhe: Das halte ich für undenkbar! Ich rechne mit gut 20 Jahren. Und dass es gelingt, ist wichtiger als die Frage, ob es fünf Jahre länger dauert! Entscheidend wird es sein, den Prozess, etwa beim Netzausbau, klug zu steuern, um auch nachsteuern zu können.
Mit dem Ende der Braunkohle kommt der Strukturwandel.
Gröhe: Eine große Herausforderung, die wir meistern können! Entscheidend wird es sein, energieintensiven Industrien wie Chemie und Aluminium wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu erhalten. Dann bleiben wir ein starker Wirtschaftsraum!
Annegret Kramp-Karrenbauer ist neue CDU-Vorsitzende. Sie haben sie unterstützt. Das Lager des unterlegenen Friedrich Merz ist annähernd gleich groß. Droht der CDU jetzt die Zerreißprobe?
Gröhe: Nein! Friedrich Merz und Jens Spahn haben – beispielgebend – zur Unterstützung der neuen Vorsitzenden aufgerufen! Und es ist vor allem Kramp-Karrenbauers, aber in der Partei- und Fraktionsführung auch unser aller Aufgabe, alle mitzunehmen. Die inhaltliche Bandbreite unserer Volkspartei deutlich werden zu lassen und dabei ein verbindendes Profil zu zeigen – das ist unsere gemeinsame Aufgabe!
In der Neusser CDU haben zwei Drittel für Friedrich Merz votiert. Wie erklären Sie Ihrer Basis, dass Sie auf Kramp-Karrenbauer gesetzt haben?
Gröhe: Ich führe viele Gespräche, erläutere meine Entscheidung und nehme dabei die Bereitschaft wahr, der neuen Parteivorsitzenden gleichsam einen Vertrauensvorschuss zu geben, verbunden mit bestimmten Erwartungen. Gute Umfragewerte für Kramp-Karrenbauer in der Bevölkerung wie bei Unionsanhängern unterstützen das.
Was wünschen Sie sich für 2019?
Gröhe: Dass sich noch mehr Menschen für unser Gemeinwesen, für unsere Heimat einsetzen! Sehr gerne natürlich in der CDU. Demokratie ist kein Selbstläufer, lebt auch vom Mittun in den demokratischen Parteien. Jeder sollte sich einmischen!
Das vollständige Interview finden Sie auch auf den Seiten der NGZ Online.