„Am Rhein!“ Bei der Frage nach einer Foto-Location muss Hermann Gröhe (60), seit 1994 für die CDU im Bundestag, nicht lange überlegen. Natürlich gibt es viele Orte in seinem Wahlkreis, die politisch bedeutsam sind, der Rhein jedoch steht für mehr: „Er ist Heimat, gleichzeitig aber auch Verkehrsader für Logistik und Industrie. Er steht für die Weltoffenheit unserer Region und für Europa“, sagt Gröhe. Der Rhein symbolisiere Wandel und Entwicklung, zeige aber auch Fortschritt ganz konkret: „Es gab Jahrzehnte, da war die Wasserqualität besorgniserregend. Heute wird am Rhein wieder geangelt.“ Heißt: Umweltprobleme lassen sich wieder zum Positiven wenden, wenn Wirtschaft, Gesellschaft und Politik anpacken.
Das, so Gröhe, mache Mut auch für den Kampf gegen den Klimawandel. Dabei setzt Gröhe auf eine neue Energiepolitik, die auf marktwirtschaftlichen Instrumenten fußt. Gleichzeitig müsse die Energiewende für den einzelnen bezahlbar bleiben. Beispiel E-Mobilität: E-Autos müssten günstiger werden, der entscheidende Punkt jedoch seien höhere Reichweiten der Fahrzeuge und der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Manche zweifeln, dass das gelingt, Gröhe nicht: „Ein Land, das in acht Monaten einen Corona-Impfstoff entwickelt, schafft es auch eine Ladeinfrastruktur aufzubauen.“ Wer klare Ziele setze, beschleunige auch die technische Entwicklung. Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung, so die Botschaft, sind kein Gegensatz – im Gegenteil.
Trotz Corona und Afghanistan gehört die Klima-Frage – im Rhein-Kreis eng verknüpft mit dem Strukturwandel als Folge des Kohleausstiegs – bei Gesprächen im Wahlkampf zu den Top-Themen. Vor allem in Grevenbroich und Rommerskirchen sei das zu spüren, so Gröhe. Auch wenn der Strukturwandel Einfluss auf die gesamte Region habe, sei den Menschen in direkter Nachbarschaft zu Kraftwerken und Tagebau besonders bewusst, dass es um Existenzen geht. „Der Rhein-Kreis lebt von der Top-Industrie und einem starken Mittelstand mit guten Arbeitsplätzen“, sagt der Abgeordnete. Und, ja, die Region brauche neue Hightech-Jobs, aber nicht nur: Bestandspflege, Vernetzung von Wirtschaft und Hochschulen sowie digitaler Wandel seien entscheidend, um Arbeitsplätze zukunftssicher zu machen. Dazu fordert Gröhe auch mehr Flexibilität der EU. Beispiel Aluminium-Industrie: „Ja, wir brauchen den Green Deal in Europa, aber das geht nicht, wenn wir wegen jeder Umbauhilfe für eine Industrie Auseinandersetzungen über angebliche Wettbewerbsverzerrungen bekommen.“ Die Alu-Industrie brauche Unterstützung beim Einstieg in die Kreislaufwirtschaft.
Ohne wirtschaftliche Stärke, das ist die Nettobotschaft, sind weder Klimaschutz noch soziale Sicherheit zu erreichen. Deshalb sei die Bundestagswahl eine Richtungswahl. Das Land stehe an einem Wendepunkt: „Wir brauchen ein wirtschaftliches Erstarken des Landes, nicht eine Politik mit mehr Steuern, mehr Schulden, mehr Verboten, mit der wir wirtschaftlichen Abstieg riskieren.“ Gröhe gilt nicht als Scharfmacher, ist als Teil der „Pizza-Connection“ – informellen Treffen junger CDU- und Grünenpolitiker schon in Bonn, übrigens auch mit Armin Laschet – durchaus Befürworter von Schwarz-Grün. Die schwachen Umfrageergebnisse für die Union vor Augen, wird er gegenüber Grünen und SPD aber sehr deutlich, auch wenn er im Duell mit seinem SPD-Gegenkandidaten Daniel Rinkert – Erststimmen 2017: Gröhe 44, Rinkert 28,6 Prozent – immer noch als Favorit gilt: „Es ist bedauerlich, dass beide sehr linke Wahlprogramme verabschiedet haben.“ Die SPD zeichne ein – „grundfalsches“ – Bild von Deutschland als Jammertal, postuliere aber gleichzeitig, dass alles Gute in den vergangenen Jahren von ihr gemacht sei: „Ja was denn nun?“ Tatsache sei doch, dass in Zeiten der harten Sozialkürzungen die SPD den Kanzler gestellt habe. Die CDU geführte Regierung habe dagegen auf dem Fundament neuer Wirtschaftskraft Sozialstaat und Rente gesichert, manche Einschnitte – Beispiel Praxisgebühr – auch rückgängig gemacht. Gröhe im Wahlkampfmodus. Beispiel Infostand Neuss, Samstagvormittag, zwischen Kaufhof und Deichmann zeigt die CDU mit großer Mannschaft Präsenz, Gröhe kommt um 11.30 Uhr, nicht der erste von neun Terminen an diesem Tag. Los ging es schon um 7 Uhr vor einer Bäckerei in Rommerskirchen. In Neuss hat der Neusser Heimspiel – „Hallo Hermann, alles gut?“ –, schnell stehen ein paar Menschen Schlange und wollen mit ihm sprechen. Zentrales Thema: die K-Frage. Klar, sagt Gröhe, das ist diesmal anders. Nicht nur Corona und die bedrückenden Bilder erst aus den Flutgebieten und dann aus Afghanistan drückten dem Wahlkampf ihren Stempel auf. Auch der Kampf ums Kanzleramt ohne das Duell von Amtsinhaber und Herausforderer mache die Wahl besonders.
Eine ältere Dame fragt nach Armin Laschet, nach seinem Lachen im Katastrophengebiet. Kann er Kanzler? Gröhe versucht zu erklären, verweist eine Ablenkung in der Interview-Situation. Dass der Kanzlerkandidat von manchen grundsätzlich belächelt und seine Qualifikation bezweifelt wird, hält er für ungerecht. Über Helmut Kohl – Stichwort „Birne“ – sei gelästert worden, Angela Merkel sei als „Kohls Mädchen“ verspottet worden. Trotzdem hätten beide das Land über Jahrzehnte geprägt.
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