Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
jüdisches Leben in Deutschland wird immer sichtbarer – und das ist Anlass zu großer Freude! In Neuss geht der Bau des Alexander-Bederov-Gemeindezentrums mit Synagoge voran. Erstmals seit der Zerstörung der Neusser Synagoge in der Promenadenstraße am 9. November 1938 erhält die jüdische Gemeinde in Neuss damit wieder einen zentralen Ort für die Ausübung ihres Glaubens. Gemeinsam mit den rund 600 Neusser Jüdinnen und Juden und der ganzen Stadt freue mich schon sehr auf den feierlichen Einzug der Thorarollen in die Räumlichkeiten, voraussichtlich im kommenden Jahr.
Ein weiteres starkes Zeichen der Sichtbarkeit jüdischen Lebens ist ein Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dem der Deutsche Bundestag nun zugestimmt hat. Dieser Staatsvertrag regelt die Seelsorge für jüdische Soldatinnen und Soldaten. Erstmals seit der Gründung unserer Bundeswehr werden demnach bald wieder Rabbiner in der Militärseelsorge mitwirken und unter anderem an die Arbeit des großen jüdischen Gelehrten Leo Baeck anknüpfen, der im Ersten Weltkrieg als Feldrabbiner wirkte und später das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte. Die Militärrabbiner werden insbesondere die Seelsorge für jüdische Soldatinnen und Soldaten übernehmen. Weiterhin werden sie den lebenskundlichen Unterricht für alle Angehörigen der Bundeswehr – ganz unabhängig von ihrer Weltanschauung oder Glaubensüberzeugung – mitgestalten.
Wie wichtig solche Arbeit ist, habe ich in den vergangenen Jahren auch in persönlichen Gesprächen mit Militärseelsorgern, zum Beispiel bei der Bundeswehrmission im früheren Jugoslawien, erfahren. Die jüdischen Geistlichen werden dabei Seite an Seite mit den Geistlichen der christlichen Kirchen arbeiten – unter anderem der ehemaligen Grevenbroicher Pfarrerin Petra Reitz, die seit einigen Jahren als erste Frau das Militärdekanat Köln leitet.
Diese beiden Beispiele machen Mut und sie zeigen: Jüdisches Leben gehört zu Deutschland, gehört mitten in unsere Gesellschaft. Und der empörende Antisemitismus, der sich auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch Straftaten zeigt, hat keinen Platz bei uns!
Es grüßt Sie herzlich aus Berlin
Ihr
Hermann Gröhe
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