Liebe Leserinnen, liebe Leser,
haben Sie schon einmal mit aller Kraft geschrien, aber niemand hört Sie, fast so als wären Sie gar nicht da? So fühlen sich die Menschen im Iran seit Jahrzehnten. Doch nun ändert sich etwas. Für viele war der Tod von Masha Amini genug, vor allem mutige Frauen tragen Proteste quer durch das ganze Land. Ihren Ausruf „Frauen, Leben, Freiheit!“ hört auch das deutsche Parlament. Über 230 Abgeordnete haben politische Patenschaften übernommen. An eine derart große Initiative erinnere ich mich nicht. Unser Einsatz ist bitter nötig, das Regime geht mit brutaler Gewalt vor. Es sperrt Menschen ohne Beweise weg, führt Scheinverfahren, verhängt und vollstreckt Todesurteile, versucht Kritik mundtot zu machen. Genau hiervon berichtete mir auch eine Gruppe christlicher Iranerinnen und Iraner, die in und um Neuss Zuflucht und eine neue Heimat gefunden haben und die ich in der Neusser Christuskirche, meiner Gemeinde, traf. Sie schilderten die Gräueltaten, die Verzweiflung ihrer Angehörigen in der Heimat. Und sie hatten eine Bitte: Gebt uns eine Stimme!
Deswegen erheben wir Parlamentarier gegenüber dem iranischen Regime unsere Stimme und sagen: Wir kennen die Namen eurer Opfer! Auch dem Iran ist sein Ansehen in der Völkergemeinschaft nicht völlig egal. Deswegen fordern wir den iranischen Botschafter in Briefen zu Stellungnahmen auf. Wir beraten uns mit der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Und wir schaffen Öffentlichkeit. Allein ein Tweet zu meiner Patenschaft, übersetzt auf Farsi, wurde über 100-mal auf Twitter geteilt. So habe ich auch im Iran wahrnehmbar gegen die Festnahme der Journalistin Vida Rabbani protestiert, die lediglich über die jüngsten Demonstrationen berichtete. Doch die Wahrheit ist eine Gefahr für das Regime. Deswegen gibt es völlig abwegige Anklagen wie gegen Saeed Shirazi, er würde „Krieg gegen Gott“ betreiben, und für den sich mein Kollege Daniel Rinkert als Pate einsetzt.
Seit vielen Jahren setze ich mich für Menschen ein, die unter Verfolgung, Bedrängung und Todesangst leiden, und kann berichten: Es gibt Erfolge! Solidaritätsaktionen bewirken Hafturlaube, unabhängige Rechtsbeistände oder medizinische Behandlung. Und in Ländern, die Menschenrechte nicht achten, ist jeder kleine Schritt ein Erfolg, es geht ja oft um Nothilfe. Aber es gibt auch Rückschläge. So habe ich es beispielsweise mit Pastor Nadarkhani erlebt, der wieder im Gefängnis sitzt. Gemeinsam mit dem FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai arbeite ich für die Freiheit von Nahid Taghavi, einer deutsch-iranischen Architektin, der noch über sieben Jahre Haft drohen. Selbst in Teheran geboren, fordert Bijan Djir-Sarai immer wieder eine neue Außenpolitik gegenüber dem Iran. Und die iranische Führung gerät mehr und mehr unter Druck. Deswegen wäre es wichtig, dass sich die Bundesregierung dafür stark macht, die Iranische Revolutionsgarde auf die sogenannte EU-Terrorliste setzen zu lassen. Denn ohne die Garden könnte das Regime seine Verbrechen nicht begehen.
Ihr Hermann Gröhe
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Hermann Gröhes "Berliner Notizen" finden Sie auch hier im E-Paper auf Seite 7.